1. Okt

Auch in China leidet der Ruf von VW

VWs Ex-Chef Martin Winterkorn auf der Automesse in Shanghai 2011: Betrug mit System. (Foto: fmk)

VWs Ex-Chef Martin Winterkorn auf der Automesse Shanghai 2011: Betrug mit System. (Foto: fmk)

Es sind zwar kaum Diesel-Modelle auf dem Markt – doch der systematische Betrug erinnert an frühere Skandale

Der chinesische Markt wirkt wie die letzte verlässliche Stütze des VW-Geschäfts – doch auch in Fernost steigt das Misstrauen gegenüber der Integrität der einstigen Vorzeigemarke. Die Kunden fühlen sich zunehmend an frühere technische Probleme erinnert, die VW ebenfalls mit Softwarelösungen überdecken wollte. Noch ist kein großer Absatzrückgang zu erkennen, doch da in Fernost vor allem das Prestige einer Marke zählt, ist ein Rückschlag durchaus möglich.

 

Auf den ersten Blick ist das Kaufverhalten auf dem großen China-Markt für Volkswagen in der aktuellen Krise ein riesiges Glück: Die Konsumenten dort mögen keine Dieselmotoren, ihr Marktanteil ist vernachlässigbar. Einer der Gründe: An den Tankstellen gibt es nur vergleichsweisen groben Sprit für Lastwagen. Mit dem Dieselantrieb verbinden die Kunden dicke Rauchwolken, nagelnde Motoren und lahme Beschleunigung.

 

VW setzt in China pro Jahr mehr als dreieinhalb Millionen Autos ab. Das ist ein Drittel der globalen Gesamtzahl. Den reinen Zahlen nach wirkt das Diesel-freie China also zunächst stabilisierend. Dieser Gedankengang bezieht jedoch die Psychologie der chinesischen Käufer nicht mit ein. Wenn der Ruf einer Marke ruiniert ist, wollen die Kunden nichts mehr mit ihr zu tun haben. Die Loyalität ist auf dem jungen Markt noch gering.

 

Der Ruf von VW ist zudem in China bereits angeknackst: Der Konzern ist hier ausgerechnet durch mangelnde Integrität und eine Neigung zur Trickserei aufgefallen. Die globale Skandal bestätigt die bestehende Wahrnehmung nun bloß.

 

Das dickste Problem hatte Volkswagen hier in den Jahren 2011 bis 2013 mit einer neuen Generation mit Automatikgetrieben. Die Parallelen zu der Affäre um „saubere Diesel“ sind verblüffend. Die neuen Direktschaltgetriebe waren technisch im Prinzip nicht schlecht und versprachen ein ganz besonders angenehmes Fahrverhalten. Auf dem chinesischen Markt gab es jedoch im Gegenteil eine lange Reihe von Problemen. Beim Schalten ruckelte es, und manchmal blieben die Autos ganz liegen, zuweilen auch mit einem Kurzschluss in der Elektrik.

 

Volkswagen ignorierte das Problem monatelang. Dann versprach das Unternehmen eine erweiterte Garantie und bot an, die betroffenen Autos in der Werkstatt mit einer neuen Software auszustatten, die das Ruckeln abstellen sollte. Fatal daran: Das Unternehmen hat zu diesem Zeitpunkt immer noch keine technischen Schwierigkeiten eingestanden. Es hat selbst das billige Software-Update als großzügige, weil eigentlich unnötige Leistung dargestellt.

 

Ein hochrangiger VW-Manager vor Ort in China erzählte dem Korrespondenten dieser Zeit damals allen Ernstes, die Chinesen hätten sich die Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben. Sie könnten nicht Auto fahren, und die hochwertige Technik aus Deutschland komme mit ihrem groben Fahrstil nicht zurecht. Das Auto sei im Entwicklungsland China halt etwas Neues. Dass das herablassend und rassistisch klang, fiel dem Auto-Mann damals wohl nicht auf.

 

Außerdem war diese Darstellung schlicht falsch. Ende 2013 folgte nach einer gründlichen Untersuchung durch die chinesische Verbraucherschutzbehörde AQSIQ das Verdikt, die Doppelkupplungsgetriebe seien in großer Zahl schadhaft und gehörten nachgebessert. VW rief 640.000 Autos in die Werkstätten.

 

Die verärgerten Kunden erhielten die endlich Bestätigung, dass ihre Probleme real sind – und sie bekamen nach Jahren des Ärgers ein fehlerfreies Produkt. „Arroganz und Überheblichkeit können ein Unternehmen zu Fall bringen. Volkswagen sollte auf der Hut sein“, schrieben seinerzeit Autojournalisten der Wirtschafts-Webseite „China Economy“ geradezu prophetisch. „Wenn die Kunden das Vertrauen in VW verlieren, können sie sich japanischen, koreanischen oder einheimischen Marken zuwenden.“

 

Die chinesischen Autokunden wollen vor allem gute Qualität und Prestige. Deshalb bevorzugen sie deutsche Autos. Volkswagen konnte bisher im Vergleich zur amerikanischen oder koreanischen Konkurrenz einen Aufschlag durchsetzen. Jetzt spricht die Nachrichtenagentur Xinhua in der Überschrift von landesweit millionenfach verbreiteten Nachrichten von „Betrugsautos von VW“.  Irgendwann hilft dann auch das gnadenlos gute Image deutscher Wertarbeit nichts mehr.

 

Nun kommt es auch darauf an, wie die allmächtige Regierung sich positioniert. Die chinesische Führung hat sich zu den Problemen bei VW noch nicht geäußert, doch sie ist derzeit bei der Behandlung internationaler Autofirmen gespalten. Volkswagen produziert ausschließlich in Gemeinschaftsunternehmen zusammen mit Staatsfirmen, beispielsweise First Auto Works (FAW) aus der Nordprovinz Jilin. Zumindest die örtliche Regierung hat also ein Interesse daran, dass es VW gut geht.

 

Die Zentralregierung in Peking verfolgt dagegen noch andere Ziele. Sie arbeitet auf eine Erhöhung des Marktanteils einheimischer Hersteller hin und sieht die Dominanz von VW und GM, die je ungefähr ein Fünftel des Absatzes kontrollieren, zunehmend kritisch. Die VW-Affäre könnte hier eine willkommene Gelegenheit sein, die Ausländer zurückzudrängen, beispielsweise durch aggressive Berichterstattung im Staatsfernsehen.

 

Doch bisher sind die Konsumenten gleichwohl nur verwirrt, nicht abgeschreckt. Ein VW-Käufer sagte dieser Zeitung sogar, dass er das Vorgehen des Unternehmens für ziemlich clever hält – mit dem Bordcomputer die Abgaswerte zurechtzumogeln, nötige ihm Respekt vor dem deutschen Geschäftssinn ab. Hauptsache, der Kunde bekommt seinen Fahrspaß. Noch ist daher nicht klar, wohin die Stimmung in China ausschlägt.

 

Die hohen Investitionen von bisher rund 30 Milliarden Euro in China erweisen sich also grundsätzlich als Glücksfall. Volkswagen verfügt hier über einen großen, stabilen Absatzmarkt frei von Diesel-Problemen. Auch das derzeit langsamere Wachstum gilt Analysten nur als vorübergehender Durchhänger. Mit etwas Glück und vor allem offener, kundennaher Kommunikation kann der Gewinn aus Asien für einen Teil der Krisen-Kosten auf den übrigen Märkten aufkommen. Wenn China nun ebenfalls wegbricht, erlebt VW den GAU.

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