29. Okt

China schafft Ein-Kind-Politik ab

Chinesische Familie: Bald zwei Kids statt nur einem. Foto: fmk

Chinesische Familie: Bald zwei Kids statt nur einem. Foto: fmk

Alle Paare dürfen künftig zwei Kinder bekommen – Aktien der Hersteller von Babynahrung steigen

Peking. Der bekannte Regisseur Zhang Yimou wird sich ärgern. Im vergangenen Jahr erst hat die Familienplanungsbehörde seines Landes ihm eine Strafe von einer guten Million Euro aufgebrummt – weil seine Frau zwei Kinder zu viel geboren hat. Jetzt schafft China die berüchtigte Ein-Kind-Politik überraschend ab. „Alle Paare dürften künftig zwei Kinder haben“, teilte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei über die Nachrichtenagentur Xinhua mit. Die Kehrtwende in der staatlichen Familienplanung ist Teil des 13. Fünfjahresplans für die Entwicklung Chinas von 2016 bis 2020.

 

Die Ein-Kind-Politik erschien zuletzt auch der chinesischen Führung zunehmend sinnlos. Die Partei erkennt mit der Neuformulierung auch eine gesellschaftliche Realität an: Die meisten Paare wollen in China ohnehin keine großen Familien mehr –umgekehrt droht schon in wenigen Jahren ein Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung. Nicht lange danach dürften sich Rentenlücken auftun. Da hat es keinen Sinn, sich Eltern in den Weg zu stellen, die eine ganz normale Familie mit zwei Kindern haben wollen.

 

Dreieinhalb Jahrzehnte lang hatte die Partei dagegen eine fixe Idee grausam durchgesetzt: Nur wenn auf jedes Paar höchstens ein Kind käme, ließe sich eine Bevölkerungsexplosion verhindern. Auf den ersten Blick war die Politik erfolgreich: Die durchschnittliche Zahl der Geburten pro Frau fiel von acht in den 60er-Jahren auf heute lediglich 1,5 Kinder. Die Partei brüstete sich damit, 400 Millionen Kinder verhindert zu haben.

 

Doch unabhängige Forscher bezweifeln diese Zahl. Einerseits war die Geburtenrate schon vor Einführung der drakonischen Maßnahmen drastisch gesunken: auf knapp über zwei Kinder pro Paar im Jahr 1980. Andererseits ist die Zahl der Kinder in allen Gesellschaften gesunken, die zu Wohlstand gekommen sind – Länder wie Deutschland, Italien oder Japan sind Beispiele dafür, dass dieser Trend bis hin zum echten Mangel an Nachwuchs weiterlaufen kann. „Die Wirtschaftsentwicklung hatte einen viel höheren Anteil an dem Geburtenrückgang als die Ein-Kind-Politik“, urteilt Soziologe Cai Yong von der University of North Carolina.

 

In der Großstadt Shanghai beispielsweise wollen heute nur 15 Prozent aller Frauen mit Kinderwusch mehr als ein Kind – und das völlig freiwillig. „Die Behauptungen über den Effekt der Ein-Kind-Politik sind völliger Unsinn“, sagt Forscher Cai. Die Geburtenrate wäre auch ganz von allein gesunken – und Chinas Rentensystem stände mit etwas mehr Nachwuchs heute auf stabileren Beinen.

 

Dem zweifelhaften Nutzen stehen schreckliche Schäden gegenüber, die die Ein-Kind-Politik angerichtet hat. Schon ganz zu Beginn stellten übereifrige Familienplaner Rekorde auf, um den Plan überzuerfüllen. Im Jahr 1983 zählten sie stolz 14 Millionen unfreiwillige Abtreibungen und 21 Millionen Sterilisationen im Namen der Bevölkerungskontrolle.

 

Selbst in den vergangenen Jahren, als das Ende der repressiven Politik längst absehbar war, zwangen die Behörden immer wieder Frauen zu Abtreibungen – in fast allen Fällen mit katastrophalen psychischen Folgen. Die Ein-Kind-Politik hatte weitere groteske Auswirkungen. Nicht nur Zwangsabtreibungen wurden extrem häufig, sondern auch die Auswahl der Babys nach Geschlecht. Viele chinesische Eltern bevorzugen Jungen und haben weibliche Embryos von skrupellosen Ärzten gezielt abtreiben lassen. Auf 100 Mädchen kommen heute 116 Jungen.

 

Am Flughafen Peking war kürzlich ein Mann zu sehen, der seine Tochter im Gedränge mit Handschellen an sich gekettet hatte. So groß war seine Angst, das Mädchen könnte entführt und verkauft werden. Ein Foto der surrealen Szene ging im Internet herum – und erhielt viele Kommentare von Vätern, die den Mann gut verstehen konnten. Chinesische Banden überfallen sogar Dörfer in Vietnam, um Bräute zu rauben.

 

Nur die Reichen können sich problemlos mehrere Kinder leisten – sie zahlen einfach die Strafe. So wie Erfolgsregisseur Zhang Yimou, der in Deutschland vor allem für „Die rote Laterne“ und „Hero“ bekannt ist. Er und seine Frau Chen Ting hatten zwei Söhne und eine Tochter. Das wäre zwar auch nach der neuen Politik ein Kind zu viel – aber künftig sicher kein Grund für eine Strafe im Millionen-Euro-Bereich. Zumindest aber hätte das Paar eine halbe Million Euro sparen können.

 

Ums Geld geht es auch einer anderen Gruppe von Beobachtern der Trends: An Börsen weltweit stiegen die Aktien von Herstellern von Säuglingsnahrung steil an – in Hoffnung auf einen Baby-Boom in China. Vermutlich vergeblich – schließlich hat der Kinderwunsch längst von selbst nachgelassen.

 

Die Ankündigung der neuen Familienpolitik als Teil des neuen Fünfjahresplans kam als kleine Sensation. Im Allgemeinen geht es dem sperrigen, knapp 100-seitigen Dokument mehr um die Feinjustierung von Kennzahlen. Die Ankündigung eines Kurswechsels ist hier eher selten. Mittelfristig ist angesichts der niedrigen Geburtenrate nun mit einer völligen Abschaffung der staatlichen Familienplanung zu rechnen – dann läge die Verantwortung wieder da, wo sie hingehört: bei den Eltern.

 

Der Schritt von der Ein- zur Zwei-Kind-Politik klingt nicht so groß. Für die chinesischen Kommunisten waren aber hohe ideologische Hürden zu überwinden. Die Propaganda hat die strenge Familienplanung jahrelang als alternativlos dargestellt. Jetzt wird es schwer sein, den Leuten zu erklären, warum die strengen Maßnahmen nun doch nicht mehr nötig sein sollen.

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