3. Sep
China berauscht sich an seiner Armee
Militärparade zum Sieg über Japan zeigt hochmodernes Kriegsgerät, darunter eine neue Generation von Atomraketen
Xi Jinping schwitzt wie jeder andere, der bei 30 Grad in einem dunklen Mao-Anzug eine Stunde lang in der prallen Sonne stehen muss. Er regt jedoch keinen Gesichtsmuskel, gibt sich unnahbar, fast etwas unbeteiligt. Und doch konzentrieren sich 12.000 Elite-Soldaten und 40.000 Zuschauer auf diesen Mann: den Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee. Auf sein zackig gesprochenes Wort hin setzt sich eine Parade aller Truppengattungen der Volksbefreiungsarmee in Bewegung – zur Inspektion durch Xi hier am Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
Bei der Militärparade zum Ende des Zweiten Weltkriegs präsentiert sich China als unangreifbare Großmacht. Die Volksbefreiungsarmee zeigt lange Reihen von nuklear bestückten Interkontinentalraketen, die Ziele überall auf der Welt können, außerdem Dronen, Raketenabwehreinheiten und Kampfjets der neuesten Generation. Staatliche Kommentatoren betonten, dass Demütigungen wie seinerzeit die Wehrlosigkeit gegenüber dem Angreifer Japan heute unmöglich seien. Die Volksbefreiungsarmee sei „ein Schild für die nationale Würde“.
In einer Rede setzte Xi jedoch den Schwerpunkt beim Thema Frieden. „China bleibt der friedlichen Entwicklung verpflichtet. Wir Chinesen lieben den Frieden“, sagte Xi. Er kündigte bei dieser Gelegenheit auch an, die Truppe um 300.000 Mann auf zwei Millionen Soldaten zu verkleinern.
Hinter der Verkleinerung steckt jedoch eine Stärkung. Statt Millionen von Soldaten mittelmäßig auszurüsten und auszubilden, sollen hochgradig bewegliche Einheiten auf Weltstandard entstehen. Xi setzt damit einen Trend von Militärreformen fort, der auf punktuelle Schlagkraft statt große Zahlen setzt. China hat zudem auch nach der Verkleinerung das größte Heer der Welt. „Die Rüstungsausgaben werden weiterhin schnell ansteigen“, sagt Analyst Paul Burton von dem Forschungshaus IHS. In diesem Jahrzehnt werde sich das Verteidigungsbudget glatt verdoppeln. Die Qualität der Ausrüstung steige im Gleichschritt an.
Die technischen Möglichkeiten zeigen sich auch in den neuen Waffen, die China auf der Parade erstmals präsentiert. Xi lobte zwar die Allianz der Länder, die seinerzeit Japan und Deutschland besiegt haben, doch eine ganze Reihe der Kriegsgeräte ist von Reichweite und Zielsetzung her auf einen bestimmten Gegner ausgerichtet: den globalen Rivalen USA.
Die bedrohlichste Neuerung ist eine Rakete vom Typ Ostwind-21D, die Schiffe aus großer Entfernung treffen kann, ebenso wie die etwas größere Ostwind-26, die sogar Atomsprengköpfe tragen soll. China hat damit nun die Mittel, amerikanische Flugzeugträger zu versenken, bevor sich sich Chinas Küsten auch nur nähern können. Eine der wichtigsten Optionen der Amerikaner ist damit potenziell ausgeschaltet. Rüstungsexperten zufolge hat sich China damit in der Kategorie der Anti-Schiffs-Waffen an die Weltspitze gesetzt.
Xi ließ auch ein ganzes Aufgebot von Interkontinentalraketen zeigen, darunter das besonders große Modell Ostwind-5B, das seine eine tödliche Last von bis zu drei Tonne Gewicht bis nach Washington und noch viel weiter tragen kann. Sie hat die Fähigkeit, sich beim Wiedereintritt in drei Flugkörper aufzuteilen und damit am US-Raketenschild vorbeizukommen. Es handelt sich um typische Waffe der nuklearen Abschreckung. Auch anderes modernes Gerät war zu sehen, beispielsweise neue Generationen von Drohnen, Kampfjets und Panzern.
Nach der Parade des Tötungsgeräts legten die Organisation wieder mit einer Friedensbotschaft nach und ließen weiße Tauben in den Himmel aufsteigen. Bei vielen Chinesen, die das Spektakel im Fernsehen verfolgten, kam die doppelte Botschaft von der eigenen Stärke bei vorgeblich friedlichen Motiven gut an. „Ich wünsche mir, dass China jeden Tag stärker wird!“, schreibt Jin Jing, ein Beamter aus Urumqi im Westen des Landes, in seinem Blog. „Es ist bloß zu bemängeln, dass in den Augen unserer Soldaten heute nicht mehr genug Kampfgeist funkelt.“
Andere Chinesen sahen die Veranstaltung differenzierter. „Ich finde es gut, dass uns heute keiner mehr etwas tun kann, aber ist so eine Parade wirklich eine Friedensbotschaft?“, fragt die 32-jährige Pekingerin Xiaomei. Niemand im Land mag dagegen an diesem Jubeltag daran erinnern, dass die Volksbefreiungsarmee von 1927 bis 1950 vor allem in einen Bürgerkrieg eingebunden war. Sie hat daher die Truppen der bürgerlichen Republik ebensosehr bekämpft wie die Japaner. Um die eigene Rolle im Sieg gegen Japan hervorzuheben, betonen chinesische Historiker in diesen Tagen, dass die meisten japanischen Soldaten in China gefallen sind – nicht auf dem Meer, wo die US-Marine die Flotte des Kaisers dezimiert hat.
Japan ist generell der Hauptgegner der Propaganda-Kampagne, von der die Militärparade begleitet ist. Die Länder stehen sich seit Kriegsende misstrauisch und oft immer noch fast feindlich gegenüber. Es ist der Regierung in Tokio in all den Jahrzehnten nie gelungen, sich überzeugend für Kriegsgräuel zu entschuldigen und die Vergangenheit zu bewältigen. Peking hat seinerseits gerade in den vergangenen Jahren den Groll des eigenen Volkes gegen das Nachbarland gezielt schürt. Im Fernsehen sind laufend Filme und Serien zu sehen, die die Japaner als wahre Teufel darstellen.
Die Gedenkfeier galt dementsprechend nach offizieller Sprechweise dem „Sieg im Widerstand des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression und den weltweiten antifaschistischen Krieg“. In Tokio kam die Veranstaltung dementsprechend schlecht an. Premier Shinzo Abe hatte die Einladung abgesagt und auch keinen Vertreter geschickt. China hält solche Militärparaden für gewöhnlich nur zu runden Jahrestagen der Gründung der Volksrepublik ab. Es ist das erste Mal, dass sie dem Sieg über Japan gilt.