13. Jul
China lässt vor Gabriel-Besuch Anwälte verhaften
Neues Sicherheitsgesetz erlaubt es, Kritiker nach Belieben verschwinden zu lassen
Peking. Nur wenige Tage vor einem Besuch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Peking hat die chinesische Führung Dutzende von Menschenrechtsanwälten festnehmen lassen. In einer groß angelegten Aktion sind Polizisten in die Häuser von 47 Personen eingedrungen, berichtet die Menschenrechtsorganisation China Human Rights Lawyers Concern Group aus Hongkong.
In vielen der Fälle haben ihre Kollegen und Familien nichts mehr von ihnen gehört, nachdem sie abgeführt wurden. Laut Amnesty International handelt es sich um den größten Schlag gegen Bürgerrechtler seit Amtsantritt von Präsident Xi Jinping.
Bei den landesweit koordinierten Verhaftungen könnte es sich um eine Anwendung eines Sicherheitsgesetzes handeln, das dem Sicherheitsapparat umfassende Möglichkeiten gibt, Kritiker mundtot zu machen. Das Gesetz ist seit dem 1. Juli in Kraft. Seine Formulierungen sind unklar, aber sie ermächtigen die Polizei und Geheimdienste auf jeden Fall, „alle nötigen Maßnahmen“ anzuwenden, um „die politische Macht der demokratischen Diktatur des Volkes und das System des Sozialismus‘ mit chinesischen Charakteristiken“ zu schützen.
Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen, Zeid Ra’ad Al Hussein, hat das Gesetz bereits deutlich kritisiert: „Es öffnet der Einschränkung der Freiheiten der chinesischen Bürger Tür und Tor.“ Die Autoritäten könnten die Zivilgesellschaft stärker einschränken als je zuvor. Es fördere außerdem Willkür: „Keiner weiß mehr, auf welcher Seite des Gesetzes er steht.“
Die chinesische Propagandazeitung Global Times verteidigte dagegen die Verhaftung der Anwälte. Diese hätten sich „an die Öffentlichkeit gewandt“, statt den korrekten Ablauf vor Gericht abzuwarten, und dazu beigetragen, „soziale Unruhe zu verbreiten“, indem sie der Staatslinie widersprochen haben.
Die Verhaftungswelle am Wochenende begann nur wenige Stunden nach einem eher positiven Signal in Richtung Deutschland. Zhang Miao, eine chinesische Mitarbeiter der Wochenzeitung „Zeit“, kam aus neunmonatiger Gefangenschaft frei. Zhang war in Peking festgenommen worden, weil sie Sympathie für die Demokratieproteste im südchinesischen Hongkong gezeigt hatte.
Gabriel besucht ab Dienstag ein China, in dem die Kommunistische Partei die Schrauben in den vergangenen Monaten immer weiter angezogen hat. „Die Unterdrückung nimmt in vielen Formen zu“, sagt die Juristin Eva Pils vom King’s College in London. Trotz Beteuerungen, den Rechtsstaat zu stärken, stehen vor allem Anwälte in der Schusslinie. Präsident Xi Jinping habe die Ausweitung der Einschüchterung stärker als seine Vorgänger durch formale Gesetze abgesichert – ein Beispiel ist das neue Sicherheitsgesetz.
Das neue Sicherheitsgesetz betrifft auch die Themen, über die der Wirtschaftsminister mit der chinesischen Regierung verhandeln will. Es geht um Innovation und um „Industrie 4.0“, einen Plan Deutschlands und Chinas, die Wirtschaftsweise mit Hilfe von Informationstechnik weiter aufzuwerten. Firmenvertreter zeigen sich jedoch zunehmend skeptisch, ob sie IT-Systeme auf chinesischem Boden vertrauen können. Die EU-Handelskammer in Peking sieht in dem strikt zensierten Internet bereits eine erhebliche Wachstumsbremse. „Vor allem die Zugangsbeschränkungen haben erheblich Auswirkungen aufs Geschäft“, sagt Kammerpräsident Jörg Wuttke. China verlangt zunehmend Zugang zu verschlüsselter Kommunikation.