18. Jan

Die Angela Merkel Asiens steht vor der Bewährungsprobe

Taiwans Fahne weht über dem Yuan. Foto: fmk

Taiwans Fahne weht über dem Yuan. Foto: fmk

Taiwans neue Präsidentin Tsai Ing-wen wird Verhandlungsgeschick und Standfestigkeit gegenüber Peking benötigen

Taipei. Taiwans neue Präsidentin Tsai Ing-wen war gerade erst gewählt, da hat die kommunistischen Regierung Chinas bereits einen Warnschuss abgegeben: Mehr Unabhängigkeit werde nicht geduldet, ließ Peking zu Wochenbeginn mitteilen. Die Insel habe mit Konsequenzen zu rechnen, wenn Tsai ihr Wahlversprechen wahr mache und ihr Land von China wegsteuert. Tsai müsse sich an die bisher vereinbarten Kompromisse halten, eine Abweichung sei gefährlich, ließ das Taiwan-Büro der chinesischen Regierung verlauten.

Dieser Auftakt verspricht einen schweren Start für Tsai, die im Mai als erste Frau in Taiwans Präsidentenpalast einzieht. Eine überwältigende Mehrheit der Wähler hat sich am Wochenende für die die 59-Jährige entschieden. Damit verbunden ist der Auftrag, China künftig mehr die Stirn zu bieten – und das schafft jetzt schon Spannungen mit Peking.

Zugleich ist Tsai auf den heiklen Balanceakt zwischen Wählererwartungen und Realpolitik bestens vorbereitet. Die ehemalige Jura-Professorin ist Expertin für das komplizierte Rechtsverhältnis zwischen den beiden chinesischen Staaten. Ihre Rolle als Gelehrte hat sie gleichwohl in den vergangenen zehn Jahren vollständig abgelegt und sich als angriffslustige Power-Politikerin neu erfunden.

Erst im Jahr 2004 ist Tsai Ing-wen der Demokratischen Fortschrittspartei DPP beigetreten. Vor ihrer Zeit als Politikerin soll sie sich vorsichtig ausgedrückt und Konflikte gemieden haben, berichten Weggefährten. Von diesem Verhalten ist nichts mehr übrig: Im Wahlkampf der vergangenen Monate hat sie einen klaren Willen zur Macht gezeigt – und ist durch aggressive Attacken gegen die vorige Regierung aufgefallen. Vor allem junge Wähler spricht sie mit ihrem Versprechen an, die eigene Identität und politische Kultur gegenüber Peking stärker zu behaupten.

Tsai hat damit künftig einen übermächtigen Gegenspieler: Den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der seinerseits auf eine schleichende Wiedervereinigung mit Taiwan hinarbeitet. Er könnte die Instrumente der dominierenden Volkswirtschaft einsetzen, um Taiwan zu schaden. So krude Mittel wie das Militär braucht er gar nicht, um die Insel auf Kurs zu bringen. Taiwan hat sich längst in ökonomische Abhängigkeit vom Festland begeben. Tsai muss nun die faktische Unabhängigkeit der Insel behaupten, ohne ihre Wirtschaftsgrundlage zu zerstören – die Firmen des Landes machen glänzende Geschäfte mit China. Um das zu erreichen, wird sie eine Mischung aus starken Positionen, Flexibilität und Kommunikationstalent benötigen. „Sie stilisiert sich dabei als die Angela Merkel Asiens“, sagt Lai I-chung von The Taiwan Thinktank, einer DPP-nahen Forschungsorganisation.

Das schulterlang geschwungene Haar ist Tsai Ing-wens Markenzeichen. Sie gibt sich praktisch und zupackend. Übertriebenes Lächeln ist nicht so ihre Sache. Dafür strahlt sie den Ernst aus, der von einer Führungspersönlichkeit in einer bedrohlichen Situation zu erwarten ist. Doch sie ist durchaus keine harte Konservative, sondern gesellschaftlich ziemlich liberal. „Seid rebellisch!“, fordert sie die Studenten des Landes auf.

Tsai unterstützt offen die Homo-Ehe und ist die erste unverheiratete Regierungschefin der Region. Taiwan hat mit ihr als Präsidentin gute Chancen, das erste ostasiatische Land mit einer fortschrittlichen Gender-Politik zu werden. Auch wenn sie ihre Wähler beim Widerstand gegen China vermutlich enttäuschen muss: Sie steht für eine Form der Modernisierung, die in Südkorea, Japan und China noch weitgehend aussteht.

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