14. Jul
Die Industrie schaut weg
Peking. Wer in diese Tagen mit deutschen Managern in Peking spricht, merkt Unverständnis über die Erschütterung, die eine Reihe von aktuellen Ereignissen bei Vertretern der chinesischen Zivilgesellschaft auslöst: Verhaftungen von Journalisten und Anwälten, strengere Zensur, die Ausschaltung internationaler Organisationen. War nicht China schon immer straff geführt? Wandelt sich nicht auch Vieles zum Besseren?
Die Geschäftsleute stecken den Kopf in den Sand. Sie haben erhebliche Investitionen in China zu verantworten – und da darf nicht sein, was nun einmal so ist: In China wandelt sich derzeit mehr zum Schlechteren als zum Besseren. Die Führung hat eine klare Priorität gesetzt: Engmaschige Kontrolle der Gesellschaft, Unterdrückung von Aktivitäten außerhalb des Einflussbereichs der Partei. „Westliche“ Gedanken und solche, die irgendwie von der Parteilinie abweichen, sind unerwünscht und dürfen selbst an Unis nicht mehr diskutiert werden.
In einem derart eingeschränkten Geistesklima wirkt aber die Freisetzung von Kreativität, die der Aufstieg auf die nächste Entwicklungsstufe erfordert, illusorisch. Selbst das schlagende Argument vom unverzichtbaren Produktionsstandort und Wachstumsmarkt zieht nicht mehr, seitdem die Kosten vielfach höher sind als in Europa und beispielsweise der Automarkt nur noch um drei Prozent zulegen soll. Statt heller zu werden, ist es in China dunkler geworden.
Anders als chinesische Anwälte müssen die Manager deutscher Unternehmen sich zwar nicht vor Verhaftungen aufgrund neuer Gesetze fürchten. Ihre Firmengeheimnisse und Geschäftsinteressen dürften jedoch durchaus gefährdet sein. Eine ganze Reihe neuer Gesetze ermöglicht mehr Willkür, darunter ein IT-Sicherheitsgesetz, das dem Staat noch besseren Zugriff auf die Systeme ausländischer Firmen und Organisationen ermöglichen würde.
China braucht die westliche Industrie jedoch weiterhin: Ihre Investitionen, ihre Technik, Zusammenarbeit an Projekten. Das Exportland ist zudem auf den Zugang zu westlichen Märkten angewiesen. Die derzeitige Führung mag sich sehr stark zu fühlen – doch Druck aus dem Ausland würde durchaus einen Effekt haben. Auch Wirtschaftsverbände sollten deutliche Kritik an dem Trend zur unfreien Gesellschaft üben.
Stattdessen neigt die Wirtschaft dazu, sich hinter dem Rücken von durchreisenden Politikern zu verstecken. Auch Sigmar Gabriel wird sich vor seiner Reise nach Peking eine lange Liste von Klagen deutscher Firmen über unfaire Behandlung anhören müssen. Doch die Top-Manager der Unternehmen trauen sich nur in den seltensten Fällen, ihre Kritik auch in der Öffentlichkeit anzubringen oder direkt gegenüber der chinesischen Regierung zu äußern. Auch ihnen gegenüber funktioniert das System der Einschüchterung. Damit sind nur unzureichende Vertreter des freien Systems in ihrer europäischen Heimat, von dem sie ansonsten enorm profitieren.