9. Nov
Nordchina versinkt im Smog des Grauens
Kurz vor der Klimakonferenz in Paris zeigt sich der hohe Kohleverbrauch besonders schmutzig
Peking. In der Luft schwebt so viel Feinstaub, dass eine ganz neue Sorte von optischen Phänomenen entsteht: Leuchtreklamen scheinen wie losgelöst über dem Straßenrand zu schweben, während Autofahrer die Fahrbahnmarkierungen nicht mehr erkennen können. „Wie fühlt sich 1400 an? Es ist wie ein fester Gegenstand, mit dem man zusammenstößt, wenn man aus der Tür tritt“, beschreibt ein Blogger aus der nordchinesischen Provinzhauptstadt Shenyang das Gefühl im Rekord-Smog am Montag.
Die Zahl 1400 bezieht sich auf einen in China gängige Methode zur Messung der Luftqualität. Die Zahl gibt an, wie viele ultrafeine Staubpartikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern auf einen Kubikmeter Luft kommen. Die Skala reicht ursprünglich von 0 bis 500: Die Wissenschaftler, die sie ursprünglich definiert haben, konnten sich keine schlimmere Verschmutzung vorstellen. In China gelten Werte ab 300 als „hochgefährlich“. Die Weltgesundheitsorganisation setzt in ihrem Luftindex einen Grenzwert für gesunde Luft bei 20.
Nun also ein Wert von 1400 in der Millionenmetropole Shenyang – und ebenfalls extrem hohe Belastung in vier Dutzend weiteren chinesischen Großstädten. „Wenn 500 als schwere Luftverschmutzung gilt, was soll das dann sein?“, fragt der Entrepreneur und Milliardär Lei Jun in seinem Blog. Die Luftkatatastrophe könnte ihm gleichwohl glänzende Geschäfte bescheren: Seine Firma Xiaomi stellt neben Handys auch bezahlbare Luftreiniger her.
Hauptgrund für den plötzlichen Anstieg auf den Chinarekord ist der Winteranfang in Nordchina. Praktisch alle Wohnanlagen hier heizen in irgendeiner Form mit Kohle. Meist handelt es sich um kleine Anlagen, die in der Mitte eines Häuserblocks liegen. Das Prinzip ist einfach: Örtliche Kohle kommt in den Kessel, der Rauch geht ungefiltert durch den Schornstein heraus. Im günstigeren Fall erhalten die Wohnungen Fernwärme aus einem Kraftwerk vor der Stadt. Zu Wochenbeginn kamen noch Windstille und eine Wetterlage hinzu, in der Rauch schlecht nach oben abzieht. Das Ergebnis war eine dichte Glocke über Shenyang.
Für die chinesische Regierung ist der Rekord-Smog zu Winterbeginn eine Warnung und ein schlechtes Omen. Ende des Monats wird sie auf der Klimakonferenz in Paris ehrgeizige Pläne zur Verringerung des Kohleverbrauchs vorstellen. Doch die Lage in Shenyang zeigt, wie schwer die Umstellung fallen wird. Ganze Millionenstädte brauchen andere Heizkonzepte – und noch ist unklar, mit welchem anderen Brennstoff das bevölkerungsreichste Land der Welt seine Wohnungen bezahlbar warm bekommen soll.