22. Sep
Schwuler Filmemacher verklagt Zensoren
Homosexualität untergräbt nach Ansicht der chinesischen Behörden die Stabilität der Gesellschaft
Peking. In China wagt es nur selten ein Künstler oder Journalist, sich mit der allmächtigen Medienaufsicht anzulegen. Jetzt hat der 29-jährige Regisseur Fan Popo die Zensoren kurzerhand verklagt – weil sein Film „Rainbow Mama“ nicht mehr gezeigt werden darf. „Es heißt immer, dass China offener wird, doch davon ist derzeit nur wenig zu merken“, sagt Fan. „Eine lange Zeit war es erlaubt, den Film zu zeigen, und jetzt ist er gesperrt.“
Fan trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wir wollen schwule Filme sehen!“ Neben seiner Tätigkeit als Filmemacher engagiert er sich in Peking für lesbische, schwule und transsexuelle Belange. Chinas Homo-Rechtler wollen nun verstärkt das Rechtssystem nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Ein erstes gutes Zeichen: Das zuständige Gericht in Peking hat die Klage akzeptiert. Wann die Richter sich mit dem Fall befassen, ist allerdings noch unklar.
Die Zensurbehörde trägt offiziell den wenig handlichen Namen State Administration of Press, Publication, Radio, Film and Television und kürzt sich daher “SAPPRFT” ab. Ihr wichtigster Daseinszweck ist die Unterdrückung politischer Inhalte. Darin ist sie erfolgreich. Viele Chinesen haben beispielsweise noch nie von der Niederschlagung des Studentenaufstands am Platz des Himmlischen Friedens 1989 gehört. In China sind keinerlei Berichte, Fotos oder Videos von den Ereignissen zugänglich.
Doch die SAPPRFT fühlt sich auch insgesamt für die gesellschaftliche Stabilität, für kulturelle Standards und sogar für Geschmacksfragen zuständig. Neulich hat sie eine Reihe japanischer Zeichentrickserien aus der Welt von Oberschülerinnen auf den Index gesetzt, weil sie angeblich anrüchige Darstellungen enthalten und den sozialistischen Werten widersprechen.
Fans Dokumentarfilm „Raibow Mama“ ist eine ganz ernsthafte Auseinandersetzung mit den Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft. Er lässt die Eltern schwuler Kinder in China zu Wort kommen. Offen gelebte Homosexualität ist ein vergleichsweise neues Phänomen – dementsprechend groß sind die Unsicherheit und Sorgen der Mütter und Väter von jungen Leuten, die sich als schwul outen. Der Film war auch in Berlin im Rahmen des Projekts „xart splitta“ zu sehen. Er steht auf Youtube.
Drei Jahre lang hatten auch chinesische Video-Seiten wie Youku oder 56.com kein Problem mit der Doku. Im Frühjahr verschwand er jedoch plötzlich aus den Verzeichnissen. Auf Fans Nachfrage hin gaben die Betreiber an, auf Anweisung der SAPPRFT zu handeln. Diese wiederum behauptet, das Werk nicht auf den Index gesetzt zu haben.
Vermutlich haben die Zensoren jedoch nicht ausdrücklich „Rainbow Mama“ verboten, sondern schwule Inhalte allgemein als zu anstößig für das Publikum eingestuft. Die Regierung unter Präsident Xi Jinping versucht derzeit, eine moralische Wende durchzusetzen und die Gesellschaft sauberer zu machen. Die eifrigen Beamten in der Zensurbehörde sehen das als Freibrief, alles auszumerzen, das irgendwie individuell oder ungewöhnlich ist.
Fan hält das für einen Skandal. Das Verhalten der der Behörden widerspricht seiner Ansicht nach auch den geltenden Gesetzen. China mag politisch straff geführt sein, doch die persönliche Freiheit hat lange Zeit immer weiter zugenommen. Zuletzt ist jedoch ein Rückschlag zu fühlen. Fan will nun zumindest geklärt sehen, warum und auf wessen Weisung hin sein Film gelöscht wurde. In seiner Klage beruft er sich auf ein Informationsfreiheitsgesetz: Bürger haben grundsätzlich das Recht, Auskunft über Behördenmaßnahmen zu erhalten.
Solche Gesetze sind jedoch in China eher Theorie denn gelebte Praxis. Die Verfassung gibt als Staatsziel die Verwirklichung des Sozialismus sowie nationale Stabilität vor und sichert zugleich Pressefreiheit zu. In einer Abwägung dieser beiden Güter gewinnt jedoch immer die Stabilität – im Sinne von Zensur der Medien. Der Ausgang des Verfahrens, das Fan gegen die SAPPRFT anstrengt, ist daher ungewiss.
Regisseur Fan hält es jedoch für wichtig, für seinen Film zu kämpfen. Der Weg auch nur bis zu Ansätzen von Gleichberechtigung sei noch lang. „Es sind immer wieder insbesondere Inhalte mit lesbischen, schwulen und Transgender-Themen, die gelöscht werden“, sagt Fan. Die Gesellschaft könne nur vorankommen, wenn sie sich diesen Fragen offen stellt.
Jetzt steht das Verhalten der staatlichen Zensoren von der Kommunistischen Partei vor einem Gericht, das von ebenso treuen Genossen besetzt ist. Die Verhandlung könnte dennoch interessante, bisher nicht bekannte Details zum Funktionieren der Medienkontrolle in China offenbaren. Die Lage ist typisch für den derzeitigen Zustand des Landes: Die Regierung ist durchaus nicht totalitär eingestellt – schließlich gibt es Freiräume für Filmemacher wie Fan, und er kann vor Gericht gegen die Behörden vorgehen. Dennoch herrsch ständige Unsicherheit, weil sich Linien zwischen verboten und erlaubt ständig verschieben können.
International bekannt geworden war der Fall von fünf Frauenrechtlerinnen, die die Polizei im März festgenommen hat. Sie wollten lediglich selbst gedruckte Aufkleber verteilen, in denen sie strengere Gesetze gegen sexuelle Gewalt fordern. Das entspricht zwar genau einem laufenden Vorhaben der Regierung. Doch privates Engagement der Bürger sieht der Staat derzeit sehr ungern – es könnte schließlich zu koordinierten Protesten führen. Xi Jinping mag schnelle Schritte hin zum Rechtsstaat versprochen haben. Von Rechtssicherheit ist das System derzeit jedoch weit entfernt.