28. Jun
Staatsbankrott ist ganz normal
In der Vergangenheit haben viele Länder die geordnete Insolvenz aus Ausweg aus hoher Verschuldung gewählt
Griechenland ist pleite, was nun? Medien und Kommentatoren behandeln den drohenden Staatsbankrott als absolute Katastrophe, als das Ende von allem. Das ist schlicht falsch. Staatspleiten sind nicht nur ein vergleichsweise häufiger und normaler Vorgang in der Wirtschaftsgeschichte. Sie sind unter extremen Bedingungen auch schlicht die logische Auflösung des Problems.
Auch im übrigen Wirtschaftsleben ist die Insolvenz ein üblicher Vorgang und bedeutet nicht das Ende des Unternehmens. Oft steht am Ende des Insolvenzverfahrens eine stärkere und schlankere Firma. Gute Beispiele dafür sind der US-Autohersteller GM und die japanische Fluglinie JAL.
Ökonomen ist schon lange klar, dass die EU und Griechenland den großen Knall nur verschleppt haben, der jetzt kommt. „Länder mit so hohem Schuldenstand können nie aus ihren Verbindlichkeiten ‚hinauswachsen‘, gleichgültig wie Konsequent sie irgendwelche ‚richtige‘ Reformen umsetzen“, schreibt Michael Pettis von der Peking-Universität.
Es gebe nüchtern gesehen nur zwei Möglichkeiten, schrieb Pettis im Februar: Entweder die Gläubiger erlassen Athen freiwillig einen Großteil der Schulden – oder es kommt zur Insolvenz und damit zum unfreiwilligen Schuldenschnitt.
Die Ökonomen Carmen Reinhard und Christoph Trebesch haben sich angesehen, was im 20. Jahrhundert in 47 Fällen von Staatsbankrott passiert ist. In den meisten Fällen stieg hinterher die Wirtschaftsleistung und die Arbeitslosigkeit nahm ab.
Halt. 47 Fälle? Allein im 20. Jahrhundert? Es gab sogar noch viel mehr. Argentinien war 2001 insolvent. Russland war 1998 dran. Es gibt auf Wikipedia sogar eine eigene Liste von Staatspleiten. Sie ist lang. Einige der Ereignisse haben eigene Wikipedia-Seiten, wie der dänische Staatsbankrott von 1813.
Auf den ersten Blick sieht es aus, als befinde sich Griechenland in wenig schmeichelhafter Gesellschaft. Viele Einträge betreffen afrikanische und lateinamerikanische Länder. (Für Ecuador oder Venezuela sind je elf Insolvenzen verzeichnet.)
Doch es finden sich auch viele Qualitäts-Volkswirtschaften auf der Liste. Die USA waren schon sechs Mal pleite. Deutschland war 1923 und 1945 zahlungsunfähig, wobei die Umstände düster waren.
Einem Staatsbankrott ging meist hohe Verschuldung in Fremdwährungen voraus. Der Euro ist für Griechenland eine Art Fremdwährung, weil Athen ihn nicht kontrolliert. Länder mit völliger Souveränität über ihre Währung können ihre Schulden in völlig legitimer Weise durch Gelddrucken und Inflation begleichen.
Der Staatsbankrott ist eine ebenfalls völlig legitime Strategie, um mit einem Schuldenproblem umzugehen. Es zwingt die Gläubiger, das geliehene Geld abzuschreiben und ist damit letztlich besser für die Bürger. Die Finanzmärkte erleben ein Ende mit Schrecken, das besser ist als der Schrecken ohne Ende, den wir in den vergangenen Jahren gesehen haben.
Für die griechische Bevölkerung wäre die erklärte Insolvenz ein Weckruf. Für die Regierung würde sie die Begründung für harte Reformen liefern.
Griechenland muss etwas ändern. Seit 1981 hat das Land runde 500 Milliarden Euro von den übrigen Europäern bekommen, wie die chinesische Großbank ICBC ausgerechnet hat. Vieles spricht dafür, dass das Land im Wesentlichen von diesem transferierten Geld gelebt hat. Die Strukturen sind offenbar abgrundtief schlecht. Ein richtig lauter Weckruf wäre vermutlich ganz gut.
Finanzminister Varoufakis hat Recht: Ohne einen neuen Schuldenschnitt kommt Griechenland nicht von seinen Problemen herunter. Er hat ebenfalls Recht in seiner Einschätzung, dass eine Rückzahlung aus einer schrumpfenden Wirtschaft illusorisch ist. Vielleicht sollte er auch den Staatsbankrott als Szenario auf dem Weg zum Schuldenschnitt akzeptieren.
Das bedeutet übrigens nicht zwangsläufig, dass Griechenland auch aus dem Euro aussteigen muss. Andererseits haben viele Pleiteländer die Lage durch einen Währungsschnitt bereinigt. Aber ein Staat kann sich auch für zahlungsunfähig erklären und seine Schulden restrukturieren, während er die gleiche Währung behält.
P.S.: Aus sprachlichen Gründen verwendet dieser Text die Wort „Pleite“, „Insolvenz“, „Bankrott“ und „zahlungsunfähig“ zum Teil wie Synonyme. Es gibt allerdings Unterscheide; bitte verzeiht mir die Ungenauigkeit.