25. Dez
„Wofür ist das ganze Zeug überhaupt gut?“
China lehnt religiösen Einfluss des Westens ab, feiert zum Jahresende aber mit Lametta und Jingle Bells: ein Konsumfest
Peking. Das Christentum spielt in China kaum eine Rolle – doch Weihnachten ist nicht zu übersehen. Im Einkaufszentrum Solana im Nordosten Pekings findet derzeit ein „Elsässer Weihnachtsmarkt“ statt, komplett mit Tannen, Glühweinhütten und Weihnachtsmännern. Die Kinder lieben es: „Weihnachten, das bedeutet Süßigkeiten und verpackte Geschenke“, sagt Shan Tianxin, 7 Jahre alt, die mit ihrer Mutter durch die Gänge des Shopping-Centers streift. „Ich will, dass der Weihnachtsmann mir Spielzeug bringt. Und zwar von Lego.“ Ihre Mutter bremst jedoch: „Na, das werden wir ja noch sehen, ob da irgendwas gebracht wird.“
Die Dominanz amerikanischer Filmkultur und die weltweite Gleichschaltung der Shopping-Malls hat Weihnachten auch nach China gebracht – als reines Konsumfest. Die wenigen echten Christen in der Gesellschaft sind zum Teil eher so fromm, dass sie Geschenke ablehnen, wie sie von der Heilsbotschaft ablenken. Typische Jahresend-Kunden des Einzelhandels wie Shan Tianxin oder ihre Mutter haben dagegen noch nie von der Geburt Jesu gehört. Sie wollen bloß Kaufen.
Für das Reich der Mitte ist Weihnachten in mehrfacher Hinsicht ein Wirtschaftsfaktor. „China ist gut darin, fremde Feiertage zu importieren“, sagt Ökonomin Helen Qiao von Bank of America Merrill Lynch in Hongkong. Die moderne Konsum-Kultur ist dort generell später angekommen als in vielen anderen Ländern – und wurde zusammen mit den Anlässen fürs Shopping übernommen. Ein anderes Beispiel ist der Valentinstag, den die Schoko-Industrie erfolgreich im Jahreslauf verankert hat.
Zur Absatzförderung verblasst Weihnachten allerdings hinter zwei anderen Aktionstagen zu Beginn des Winters: Dem 11.11. und dem 12.12., die von Online-Händlern mit großzügigen Rabatte als Konsumfeste etabliert wurden. Allein über die Handelsplattformen Taobao und Tmall sind am 11. November Waren im Wert von zwölf Milliarden Euro weggegangen – das ist dann gegen den 24. Dezember schwer zu toppen.
In den letzten Dezembertagen kommt dagegen die Zeit der üppigen rot-silber-weißen Dekorationen von Läden in der realen Welt. Die Anmutung der Geschäfte in China unterscheidet sich heute kaum noch von der in christlichen Ländern. In der Mitte fast jeden Einkaufszentrums steht ein Christbaum. Aus den Lautsprechern dudelt Jingle Bells. Selbst im äquatornahen Südchina suggerieren Styropor-Flocken um Schlitten mit Rentieren romantischen Schneefall.
Das alles führt dazu, dass es tatsächlich so etwas wie ein Weihnachtsgeschäft gibt – obwohl der 25. Dezember in China ein normaler Arbeitstag ist und die Arbeitnehmer statt Weihnachtsgeld einen Frühjahrsbonus erhalten – und zwar erst im Februar. Eigentlich ist die zweite Dezemberhälfte daher eine denkbar schlechte Zeit, um die Kunden im Reich der Mitte zum Geldausgeben anzuregen. Doch das Weihnachts-Marketing zieht auch hier.
Coca-Cola beispielsweise dehnt seine Winter-Werbung auch auf China aus. Kinofilme zeigen westliche Weihnachtsbräuche – und die jungen Leute passen sich an. Ein Laden im Dorf Yuzhuang, einer Stadt in Shandong, hat 17.000 Weihnachtsmann-Mützen geordert. Der Besitzer ist überzeugt, sie alle verkaufen zu können: „Die Leute auf dem Lande sind mehr und mehr von Stadtkultur angesteckt und wollen Weihnachten feiern.“
Mehr und mehr chinesische Großstädter dekorieren auch ihre Wohnung weihnachtlich, weil sie Lichterketten und Tannenzweige einfach hübsch finden. Auf dem Online-Marktplatz Taobao sind 280.000 verschiedene Waren aus der Kategorie Weihnachtsschmuck gelistet. Besonders beliebt ist ein Komplett-Set für Anfänger für umgerechnet sieben Euro mit Lichterkette, roten Kugeln und Lametta. Bisher hat der Anbieter knapp 100.000 Stück davon abgesetzt. Event-Firmen bieten dagegen für Hotels und Kaufhäuser mit großem Erfolg professionelle Weihnachts-Deko an. „Wir sehen jedes Jahr volle Auslastung mit diesen Aufträgen“, sagt ein Event-Manager mit Nachnamen Chen der Webseite „Jiaxing Online“.
Die Reisebranche freut sich derweil darüber, die Chinesen unter dem Schlagwort „Weihnachten“ zu mehr Auslandsreisen anregen zu können. Gerade den Bewohnern kalter Gegenden wie Peking lassen sich Weihnachts-Ausflüge nach Thailand verkaufen. Die Nachfrage ist in diesem Jahr um ein Fünftel gestiegen.
Große Einzelhandelsketten wie der japanische Textil-Riese Uniqlo setzen ebenfalls auf das weltweit wiedererkennbare Weihnachts-Thema, um auch in China zum Jahresende mehr Klamotten zu verkaufen. Die Einkaufsmanagerin einer Supermarktkette sieht jeden Dezember folgendes Muster: Erst kommen sehr junge Leute, vor allem Frauen, und decken sich mit Weihnachts-Deko und -Geschenken ein – auch für ihre Kinder. Wenn es dann am Weihnachtstag selbst gezielte Sonderangebote zum Fest gibt, dann sind auch die Kunden in den mittleren Jahren dabei und schlagen zu.
Weihnachten wirkt aber noch in anderer Weise als Konjunkturfaktor in China: Das Land ist mit einem Anteil von über 70 Prozent Weltmarktführer bei Plastikspielzeug. Auf der Industriemesse in Guangzhou ist das Weihnachtsgeschäft bereits in jedem Frühjahr das Hauptthema für die Branche, die in China 620.000 Menschen beschäftigt und jährlich 37 Milliarden Euro umsetzt. „Die Spielwarenbranche trägt erheblich zur Beschäftigung in China bei“, notieren Ökonomen des Forschungshauses IBISWorld. Auch wenn westliche Markennamen draufstehen, kommt das Spielzeug meist aus Fernost.
Nicht zuletzt ist China größter Hersteller von Christbaumschmuck der Welt. Die Stadt Yiwu in der südöstlich gelegenen Provinz Zhejiang hat sich schon vor Jahren darauf spezialisiert, Kugeln, Engel, Plastik-Tannenzweige, Sterne oder Lichterketten zu gießen, pressen und zusammenzukleben. In 600 Fabriken entstehen hier 60 Prozent aller Weihnachtswaren weltweit. Die Arbeiter hier haben noch deutlich weniger Ahnung als die Kinder in Peking, was Weihnachten eigentlich ist. Er wisse nicht einmal, wofür das ganze Zeug eigentlich gut sei, gibt Xin zu, ein 18-jähriger Arbeiter, der falsches Stroh auf falsche Tannenzapfen klebt, mehrere Tausend Mal am Tag. „Aber sicher haben die Leute in Deutschland Freude daran.“