18. Jul

Bayern entfacht in China das Fußball-Fieber

Fans Bayer Peking

Das Team aus München siegt in Peking 4:1 über Valencia – und fördert unabsichtlich einen Plan des Staatspräsidenten

Peking. Das Vogelnest, Pekings Olympiastadion, tobte, als die Spieler des FC Bayern München am Freitagabend um halb acht Uhr abends auf das Spielfeld liefen. Fanclubs aus dem ganzen Land waren geschlossen angereist und hatten Transparente mitgebracht – auch mit deutschen Sprüchen, darunter „mir san mir“ in blau-weiß-roten Buchstaben.

 

Die Unterstützung für den Gegner in diesem Spiel, FC Valencia, fiel dagegen deutlich unauffälliger aus. Zu jeder Chance der Bayern brandet Jubel auf, während das eine Tor von Valencia eher lauwarm hingenommen wurde. „Ich bin schrecklich aufgeregt und wünsche Bayern so sehr den Sieg“, sagt Wang Xin, der extra aus der 500 Kilometer entfernten Provinz Shandong angereist ist. Der 27-Jährige Angestellte trägt heute Abend natürlich ein Bayern-Trikot.

 

Das Spiel Bayern gegen Valencia am Samstagabend war als Testspiel angesetzt, doch Peking war als Ort mit Bedacht gewählt. Die europäischen Top-Vereine wollen in Fernost für ihre Marke werben – schließlich gibt es in China allein 90 Millionen Bayern-Fans – mehr, als Deutschland überhaupt Einwohner hat. Für die internationale Vermarktung von Übertragungsrechten und Werbung ist China inzwischen einer der wichtigsten Märkte der Welt. Zugleich können die Vereine hier immer mehr Fanartikel verkaufen – nicht nur nachgemachte Billigware, wie der angereiste Fan Wang sie noch trägt, sondern auch teure Originale.

 

Die Bayern gehören hier zu den absoluten Favoriten. Das zeigt sich auch bei dem Spiel in Peking: Als nach einer Viertelstunde das Tor zum 1:0 fällt und der Name „Thomas Müller“ aus den Stadionlautsprechern zu hören ist, brandet ein Beifallssturm auf.

Die überproportionale Begeisterung der Chinesen für einen Verein aus dem fernen Deutschland zeigt jedoch eine Schwäche des eigenen Landes: Die jungen Chinesen suchen sich ihre Idole am anderen Ende der Welt, weil der eigenen Fußball, kurz gesagt, nichts taugt. Das schmerzt besonders den dortigen Fußballfan Nummer eins: Staatspräsident Xi Jinping persönlich.

 

Xi will den chinesischen Fußball nun in den kommenden zehn Jahren nach vorne bringen – und zwar in üblicher Manier der Kommunistischen Partei. In einem mehrstufigen Plan will er eine funktionierende Profi-Liga in seinem Land schaffen und es schließlich auf WM-Niveau bringen. Xis Traum ist es, danach im eigenen Land eine WM auszurichten.

 

Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Im Fifa-Ranking steht China derzeit auf Platz 77 kurz hinter Usbekistan. Für die Qualifikation zu einer Weltmeisterschaft hat es bisher genau einmal gereicht: im Jahr 2002 in Südkorea und Japan, als die Mannschaft aus dem Reich der Mitte kein einziges Tor geschossen hat und nach der Vorrunde den kurzen Weg nach Hause fliegen musste.

 

Der beharrliche Misserfolg irritiert viele Chinesen, schließlich ist das Spiel spätestens seit den 20er-Jahren in China beliebt. Schüler und Soldaten kicken in ihrer Freizeit. Die Sportsender des Landes übertragen alle wichtigen Spiele auf dem Globus live. Illegale Sportwetten florieren.

 

Doch im eigenen Land gibt es zwar eine Profi-Liga, und die Fans in den einzelnen Städten stehen auch durchaus zu ihren Vereinen. Jedem Chinesen mit Interesse an Fußball ist jedoch zweierlei klar: Das Niveau reicht nicht an das der Europäer heran und liegt sogar deutlich unter dem des Erzrivalen Japan. Zweitens wissen alle, dass die chinesische Liga ein korrupter Haufen ist, in dem diskret weitergereichte Geldkoffer ebenso über Tore entscheiden wie spielerisches Können. Da macht Zuschauen keinen besonderen Spaß mehr.

 

Es gibt jedoch ein noch viel fundamentaleres Problem: Die Nachwuchsförderung für den Fußball hat gewaltige Lücken und ist schlecht organisiert – Präsident Xi lässt sie jetzt erst aufbauen. Das ist eigentlich erstaunlich, denn in der Leichtathletik oder im Schwimmen sieben die Schulen gezielt die Talente aus und empfehlen sie an Sportinternate. Die Fußballklubs müssen dagegen bisher im Wesentlichen selber zusehen, wie sie an begabten Nachwuchs kommen.

 

Der Plan der Kommunistischen Partei sieht daher zunächst vor, im ganzen Land neue Fußball-Internate zu gründen. Von derzeit rund 5.000 soll ihre Zahl über 20.000 steigen. Ein Umsteuern ist überfällig: Die Lage hat sich sogar zuletzt deutlich verschlechtert. Nach Zahlen des chinesischen Fußballverbandes gibt es heute im ganzen Land nur rund 100.000 Jugendliche, die regelmäßig und organisiert Fußball spielen. Für ein Volk von 1,4 Milliarden sind das erschreckend wenig.

 

In den 90er-Jahren gab es immerhin schon einmal 600.000 fußballspielende Kinder und Jugendliche, was immer noch niedrig wäre. Der Grund liegt in den Prioritäten der Eltern. Kicken sehen sie als Zeitverschwendung – für die Aufnahme auf die Uni kommt es auf gute Noten an. Nachmittags ist Lernen angesagt, nicht Laufen.

 

Die Sportplaner unter Präsident Xi wollen genau dieses Denken aufbrechen und die Fußballförderung an die Strukturen annähern, die bereits für die Leichtathletik existieren. Die Pläne zeigen in der Befehlskette gerade erste Wirkung an der Basis. An den Grundschulen steht Fußball seit kurzem auf dem Lehrplan. Ab dem kommenden Jahr haben sportbegeisterte Kinder dann sogar ein exzellentes Argument an der Hand, um nach draußen zu gehen und mit den Nachbarn zu spielen. Sportliche Leistungen sollen zum Teil der Qualifikationen für die Hochschulaufnahme werden.

 

Auf dem Weg zur Fußballnation will sich China jedoch nicht nur auf eigenes Talent verlassen. Die Vereine sollen kurzfristig besser werden, indem sie auf dem Weltmarkt Top-Spieler dazukaufen. China hat nach Jahrzehnten des Exporterfolgs volle Kassen. Der Erwerb von Fußballern scheint Xi gerade eine gute Investition zu sein.

 

Die Transfer-Datenbank der Fifa gibt Auskunft über die Trendwende aus Fernost: Im ersten Quartal allein hat China gute 80 Millionen Euro für den Erwerb von Fußballern ausgegeben und kratzt damit auf einen Schlag an den Summen, die England und Deutschland für Spieler ausgeben. Die Steigerungsraten sind beachtlich: Bei diesem Tempo „wird das Reich der Mitte bereits im nächsten Jahr der größte Investor in ausländische Spieler sein“, sagt ein Fifa-Sprecher.

 

Doch zunächst kommt der Weltklasse-Fußball eher zu Besuch nach China – wie das Testspiel Bayern gegen Valencia. Nach dem 4:1-Sieg der Mannschaft aus München sind die Fans überglücklich – doch Eines überschattet ihre Euphorie. „Ich hätte mir gewünscht, dass Schweinsteiger mitkommt“, sagt Wang. „Ohne ihn ist das Team nicht mehr, was es war.“

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