5. Jun
Chinas unwahrscheinliche Energiewende
Der Treibhausgasausstoß des einstigen Klima-Außenseiters sinkt und sinkt
Peking. Alle Klimabemühungen sind vergeblich, weil China ohnehin den ganzen Planeten verpestet? Durchaus nicht. Aus Fernost kommen derzeit sogar deutliche Signale der Hoffnung. Der chinesische Ausstoß von Treibhausgasen ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres überraschend um fünf Prozent gefallen, wie Greenpeace aus offiziellen Daten abgeleitet hat. Im vergangenen Jahr waren die Emissionen bereits um ein Prozent zurückgegangen.
Das Schwellenland ist zwar weiterhin der größte Treibhausgassünder der Welt. „Aber China findet derzeit seinen Platz in der weltweiten grünen Revolution“, sagt Wu Changhua von der Umweltorganisation The Climate Group in Peking.
Das kleine Klimawunder in Asien ist ein Ergebnis handfester Regierungspolitik. Premier Li Keqiang hat kurz nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren eine Umweltpolitik „mit eiserner Faust“ angekündigt. Statt Wachstum um jeden Preis hat er Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt gestellt. Die Verantwortlichen in der Kommunistischen Partei sollten sich künftig mehr an Umweltkennziffern orientieren als am Bruttoinlandprodukt. Dem Apparat ist es zwar erst schwergefallen, umzudenken. Doch inzwischen hat sich der neue Kurs bis zu den Funktionären auf den Dörfen herumgesprochen.
Li hat zeitgleich die Grundlage für Chinas eigene Energiewende gelegt. Die staatlichen Versorger haben in gewaltigem Umfang neue Windfarmen und Solarparks gebaut. Zugleich haben sie begonnen, die Netze für die Abnahme des wechselnden Stromangebots fit zu machen. Ende 2014 kommt China damit bereits auf 115 Gigawatt installierte Windkapazität – das übersteigt die Leistung aller US-Atomkraftwerke zusammen.
Der Ausbau kommt jedoch derzeit erst richtig in Schwung. Im vergangenen Jahr allein sind 23 Gigawatt Windleistung hinzugekommen, China hat im gleichen Zeitraum ein Viertel des weltweit genutzten Windstroms produziert. Für das laufende Jahr ist geplant, weitere Windmühlen mit vergleichbarer Leistung anzuschließen. Dazu kommen 18 Gigawatt aus Solaranlagen. Nach installierter Kapazität liegt der Anteil der Erneuerbaren bereits bei 40 Prozent – es weht bloß nicht immer der Wind.
Li lässt die vorhandene Energie auch immer besser nutzen. Allein im ersten Jahr im Amt hat er allein in der Stahlprovinz Hebei 8500 besonders schmutzige und ineffiziente Betriebe schließen lassen.
In der Bergbauregion um die Stadt Yulin in der Provinz Shaanxi ist davon zu hören, dass acht von zehn Kohleminen geschlossen haben, weil die Abnahme durch die Kraftwerke so stark zurückgegangen ist. Kein Wunder: Der Kohleverbrauch ist den Greenpeace-Daten zufolge sogar um acht Prozent gesunken. Existierende Subventionen für Fracking hat Premier Li dagegen erst kürzlich zusammenstreichen lassen.
Für das laufende Jahr hat Li eine Senkung der Energieintensität um 3,2 Prozent vorgegeben. Diese Kennzahl sagt, wie viel Energie für die Schaffung einer Einheit der Wirtschaftsleistung nötig ist. Die Wirtschaft hat die Vorgaben für das erste Quartal sogar schon übererfüllt, wie die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC mitgeteilt hat. „Für die kommenden fünf Jahre sollte unser Land sich ein neues, ehrgeizigeres Sparziel setzen“, sagt Zhou Dadi vom Energieforschungsinstitut der NDRC. Er schlägt Einsparungen von 16 Prozent vor.
All das zeigt: Die chinesische Energiewende ist langfristig angelegt – eine Rückkehr zu den schmutzigen Gewohnheiten der vergangenen Jahrzehnte gilt als höchst unwahrscheinlich. Grund dafür ist weniger eine Erleuchtung der Regierenden als bittere Notwendigkeit. China erstickt im Smog und ist mit seinen wachsenden Wüsten eines der größten Opfer der Klimawandels. „Die derzeitige Führungsgeneration hat vor, ökologischen Fortschritt fest im nächsten Fünfjahresplan zu verankern“, sagt Wu. Dieser neue Wirtschaftsplan soll ab kommendem Jahr in Kraft treten.
Diese Initiativen kommen allesamt rechtzeitig, um im Dezember auf dem Klimagipfel im Paris für Gesprächsstoff zu sorgen. Ende des Monats wird China einen Entwurf seiner Angebote für den Gipfel einreichen. „Ich bin guter Hoffnung, dass eine klare Wende weg von fossilen Brennstoffen, hin zu Erneuerbaren ein fester Teil davon sein wird“, sagt Wu. Es ist jetzt schon abzusehen, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt diesmal nicht in der Ecke der Sünder sitzen wird, sondern zu den treibenden Kräften gehört.