15. Okt
Nordkorea: Ein Hauch von Markt
Machthaber Kim erlaubt mehr Eigeninitiative – und setzt erstaunliche Kräfte frei
Pjöngjang. Die Stadt sieht bunt aus, modern. Pjöngjang im Jahr 2015 überrascht durch einen vertrauten Anblick: Zwischen den geometrisch angeordneten Betonblöcken laufen junge Leute mit Smartphones herum. In den vergangenen drei Jahren ist die nordkoreanische Hauptstadt deutlich lebenswerter geworden. Pjöngjang hat jetzt Radwege, viel Grün durchzieht die Straßen. Anlässlich der Feiern zum Gründungstag der regierenden Arbeiterpartei hängen an allen Kreuzungen rote Spruchbänder.
In der nordkoreanischen Hauptstadt ist insgesamt ein Geist der Veränderung zu spüren. Denn Machthaber Kim Jong-un experimentiert mit Reformen – und hat damit in kurzer Zeit erstaunliche Kräfte freigesetzt. Das Wirtschaftsprogramm hat auf dem Lande angefangen: Im Frühjahr 2012 hat die Regierung ersten Bauernfamilien die Freiheit gegeben, einen Teil ihrer Ernte auf dem Markt anzubieten. Das war bereits eine radikale Neuerung: Vorher haben die Produktionsgenossenschaften den gesamten Ertrag über staatliche Kanäle verteilt.
Im zweiten Schritt ist auch ein Markt für Konsumprodukte entstanden – von Klopapier über Seife bis zu Grills und Armbanduhren. Neben der Welt der volkseigenen Betriebe ist eine Schattenwirtschaft entstanden – offiziell zwar nicht gefördert, aber immerhin toleriert, und ungemein produktiv.
Nordkorea ist plötzlich ein dynamischer Ort mit hohem Wirtschaftswachstum. Heute erbringt der Privatsektor – ja nach Schätzung – zwischen 30 und 50 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Das Wachstum erreicht nach Schätzung des Hyundai-Forschungsinstituts in Seoul in diesem Jahr erstaunliche sieben Prozent, vorsichtigere Schätzungen erwarten immer noch mindestens drei Prozent. „Im großen und ganzen erfreuen sich die Nordkoreaner deutlich besserer Lebensverhältnisse als noch vor wenigen Jahren“, sagt Paik Hak-soon vom Zentrum für Nordkoreastudien am Sejong Institute in Seoul.
Auch der Lebensstil wandelt sich. Die Einwohner der Städte hören südkoreanische Popmusik von USB-Sticks. In der Nähe zur chinesischen Grenze tragen sie sogar Jeans. All das widerspricht zwar der Parteiideologie von der eigenen Unabhängigkeit und der Abgrenzung zum dekadenten Westen. Doch die Polizei schaut in den meisten Fällen einfach weg.
Die Reformen lassen sich kaum noch zurückdrehen, ohne dabei erheblichen Schaden anzurichten. Viele Koreaner sind inzwischen auf den Markt angewiesen, um sich Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs zu beschaffen, weil die staatliche Verteilung nicht mehr ausreicht. Die Bevölkerung hat sich zudem an die bessere Versorgung gewöhnt.
Umso erstaunlicher scheint es, dass die Staatsmedien die eigentlich erfolgreichen Reformen kaum erwähnen. Nach außen erweckt das Regime den Anschein, es habe sich kaum etwas verändert. Der Regierung geht es dabei offenbar um den Anschein von Stabilität. Die Verehrung für die verstorbenen Staatsführer Kim Il-sung und Kim Jong-il ist so groß, dass der jüngere Kim sich noch nicht zu seinem Kurswechsel bekennen will.
Dazu passt die gewaltige Prachtentfaltung, die in diesen Tagen in Pjöngjang bevorsteht. Die nordkoreanische Arbeiterpartei feiert an diesem Samstag ihren siebzigsten Gründungstag. Der 10. Oktober ist jedes Jahr von üppiger Propaganda begleitet. Zu dem Ereignis sind Gäste und Journalisten aus aller Welt eingeladen – eine seltene Gelegenheit, Einblick in das abgeriegelte Land zu erhalten.
Die Arbeiterpartei regiert Nordkorea seit 1948 unangefochten und mit harter Hand. Ihre Vorsitzende sind seitdem in ununterbrochener Folge Mitglieder der Familie Kim. Der 1994 verstorbene Kim Il-sung ist sogar offiziell weiter ihr Generalsekretär und zudem Staatspräsident; alle Bewohner des Landes bekommen schon als Schulkinder die „Zehn Prinzipien“ eingetrichtert, deren Kernaussage absoluter Gehorsam gegenüber der Familie Kim ist.
Nordkorea unter den Kims ist das letzte stalinistische Regime auf dem Planeten. Das Land sieht sich selbst als Industriemacht, gehört jedoch von den nackten Zahlen her zu den ärmeren Ländern der Welt. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf liegt auf dem Niveau afrikanischer Entwicklungsländer. Etwa 25 Millionen Nordkoreaner leben in extremer Armut. Ein Drittel der Kinder sind wegen Unterernährung in ihrer Entwicklung gehemmt.
Die Rückständigkeit wurmt auch Kim und seine Berater. Nordkorea geht daher nun – vorsichtig – einem Weg, den China vorgezeichnet hat: Marktreformen in einem vorgegebenen Rahmen, ohne die Macht der Partei zu gefährden. Die paradoxe Mischung aus Sozialismus und Kapitalismus zeigt dabei jetzt schon ähnliche Nebenwirkungen wie zuvor in China: Die einflussreichen Kader der Partei sichern sich die besten Einkommensquellen. Ausgerechnet die Familien, die einst am zuverlässigsten zum Sozialismus standen, zeigen sich nun am geldgierigsten.
Diese Privilegierten sind es, die in Pjöngjang einen vergleichsweise üppigen Lebensstil pflegen, denn in der Vorzeigestadt darf nur die Elite wohnen. Ihre drei Millionen Einwohner sind unvergleichlich viel besser versorgt als der Rest des Landes.
Doch ob in der Stadt oder auf dem Land: Überall nehmen die Leute die neuen Chancen wahr, Eigeninitiative zu zeigen. Einfache Koreaner sind inzwischen eifrig damit beschäftigt, Geld zu verdienen und ihren Geschäften nachzugehen. Ihre Alltagssorgen unterscheiden sich vielleicht schon bald gar nicht mehr so sehr von denen der Bewohner anderer asiatischer Länder.
Das buntere Pjöngjang
Habe “Tokio-Total” gelesen. Gefiel mir sehr gut. Ihren Bericht über Nordkorea fand ich sachlich und objektiv. Ich hoffe, daß sich Nordkorea weiter stabilisiert und zusammen mit der VR China zu einem starken Gegenspieler für die USA wird.
Wir haben übrigens auch ein Familienmitglied mit chinesischer Freundin. Wir hoffen, daß es gut geht …