9. Jul

Eine Blase ohne Katastrophe

Das Bild Mao Zedongs von der 100-Yuan-Note blickt auf fallende Kurse am Aktienmarkt. Foto: William Potter/Shutterstock
Der Absturz des Aktienmarkts betrifft im Wesentlichen die Kleinanleger – das System wirkt jedoch insgesamt stabil

Peking. Es ist etwas faul in der Wirtschaft, wenn Bauern mit geliehenem Geld an der Börse spekulieren, während draußen die Saat verdirbt. Vor allem dann, wenn die Kreditsummen ihr Jahreseinkommen übersteigen. Doch nach Beiträgen auf Sozialmedien aus zufolge passiert in abgelegenen Regionen Chinas derzeit genau das.

 

Zwei Drittel der Neueinsteiger am Aktienmarkt haben in China keinen Oberschulabschluss, jeder Zwanzigste von ihnen kann nicht einmal lesen und schreiben, wie aus einer Studie der Southwestern University of Finance and Economics in der zentralchinesischen Stadt Chengdu hervorgeht. Mühelos reich zu werden durch schlaue Spekulationen am Aktienmarkt – das hat Millionen von Anlegern an die Börse gelockt. Viele erinnern sich an den Ausspruch eines Börsenhändlers im staatlichen Fernsehen im vergangenen Jahr: „Manchmal verdiene ich einen Audi in nur einer Woche.“

 

Der Herdentrieb hat Millionen von Chinesen an den Aktienmarkt gebracht – und zwar auf Geheiß der Kommunistischen Partei, die ihr Volk zu Aktionären machen will. Der Erfolg war enorm: 90 Millionen Investoren sind dazugekommen, die Börsenkurse sind innerhalb eines Jahres um 160 Prozent gestiegen. Doch seit Mitte vergangenen Monats bröckeln die Bewertungen. Die Kurse haben sich am Donnerstag wieder etwas erholt, doch die Luft ist raus aus dem Boom.

 

Das führt zu unbequemen Fragen. Haben die Kommunisten die Wirtschaft noch so gut im Griff wie ehedem? Und: Vertraut das Volk einer Partei noch, die es als Zahlvieh an die Aktienmärkte lockt?

 

Kritiker sehen hier ein politisches System im Endstadium, kurz vor dem Zusammenbruch. „Chinas Wirtschaft befindet sich in einer Reihe von strukturellen Fallen, aus denen es keinen Ausweg gibt“, sagt der angesehene amerikanische Politologe David Shambaugh von der George Washington University. Das System sei bereits brüchig. Xi Jinping klammere sich nur mit rücksichtsloser politischer Unterdrückung an die Macht. Die eigenen Parteifreunde und hochrangige Beamte fliehen deshalb jetzt schon aus China.

Kurse Shanghai II

In diesem Licht betrachtet erscheint der Versuch, die Aktienmarkt mit billigem Geld und Deregulierungen hochzutreiben als Versuch, das Überleben des Regimes zu verlängern – indem es ein Strohfeuer in der Wirtschaft entfacht. Doch viele Beobachter vor Ort widersprechen dieser Sichtweise. Die Aktienblase erscheint eher als eines von vielen Symptomen der stürmischen, aber zuweilen unregelmäßigen Entwicklung des Landes – und der Neigung seiner Bürger, dem Herdentrieb zu folgen.

 

Das System insgesamt sieht dagegen recht solide aus. „Weder China noch die politische Partei stehen vor dem Kollaps“, urteilt der Ökonom Arthur Kroeber von der Forschungsfirma Dragonomics. Präsident Xi Jinping sei ein starker Staatschef, der seine Positionen konsequent durchsetzt – mit erheblichem Rückhalt im Volk. Wirtschaftliche Rückschläge gebe es immer wieder, ohne dass gleich ein Systemwechsel anstehe.

 

Klar: Chinas Unternehmens sind ist bei den Banken hoch – viel zu hoch – verschuldet. Aber das ist ein Problem, das vielleicht die Effizienz des Kapitaleinsatzes belastet, aber nicht gleich den Untergang bedeutet.

 

Die deutsche Wirtschaft vor Ort ist jedenfalls unterm Strich weiter deutlich positiv gestimmt. Zwei Drittel der Firmen geben in der Geschäftsklimaumfrage der örtlichen Handelskammer an, bessere oder zumindest gleichbleibende Wachstumsaussichten zu erwarten. Gerade die Reformen und die Korruptionsbekämpfung durch Präsident Xi erhält gute Noten. China wächst immer noch schneller als jede andere große Volkswirtschaft –wirkt von außen betrachtet auch deutlich besser organisiert als die der Eurozone.

 

Xi zieht derzeit ein Reformprogramm durch, das gute Chancen hat, das Entwicklungsmodell des Landes auf eine völlig neue Stufe zu heben: innovativer, umweltfreundlicher, mit besserer Unternehmensführung.

 

Das Platzen einer Blase am Aktienmarkt ist da eher ein Auffahrunfall als ein Totalschaden. Die Regierung hatte eigentlich einen sinnvollen Plan. Sie hat den Bullenmarkt aus handfesten wirtschaftspolitische Gründen herbeigeführt: Den Unternehmen fehlt es an Kapital, während die Haushalte reichlich Ersparnisse haben. Beide Seiten müssten sich doch am Aktienmarkt trefflich zusammenführen lassen, dachten die Planer. Mit lockerer Geldpolitik, Deregulierung von Depoteröffnungen und Aktienkrediten, der Freigabe des Optionshandels sowie einem Schuss Propaganda („jede Woche verdiene ich einen Audi“) hat sie den Startschuss für eine schöne Rally gegeben.

 

Geplant war ein gleichmäßig laufender Bullenmarkt, über den sich junge Firmen durch Börsengänge mit Kapital versorgen, während einfache Chinesen mit Investitionen in Aktien mit der Vermögensbildung beginnen. Doch China ist ein Land der Extreme und der Exzesse, wie schon der vorige Premier Wen Jiabao geklagt hat. Die in Börsendingen unerfahrenen Chinesen – und hier vor allem die mit niedrigem Bildungsstand – sind massenhaft und hemmungslos auf die Chance von mühelosem Reichtum angesprungen. Statt gesunde zehn Prozent pro Jahr zu wachsen, haben sich die Kurse binnen weniger Monate verdoppelt.

Ein Bauer wählt Aktien für die Geldanlage aus. Screenshot von CNBC

Ein Bauer wählt Aktien für die Geldanlage aus. Screenshot von CNBC

 

Kein Wunder, dass die Regierung jetzt mit der Freigabe von Stützgeld und mit Verkaufsverboten für Anlagehäuser versucht, den Markt zu stabilisieren. Die Investoren wissen, dass die Rally gewollt war. Ein Totalabsturz wäre da auch ganz einfach nicht fair. Außerdem wären gerade die Kleinanleger, die die Kurse hochgetrieben habe, verärgert und enttäuscht. Und sie würden in der Klemme stecken: Viele von ihnen haben zu über 20 Prozent Zinsen Geld aufgenommen, um mitmachen zu können.

 

Doch das führt noch lange nicht zum Umsturz. Börsenspekulationen sind trotz der Beteiligung von Bauern auf dem Lande ein Minderheitensport: 100 Millionen Depots sind allenfalls ein Fünftel der Haushalte, und hier wiederum hat nur ein Teil unseriös investiert. Der Aktienmarkt ist zudem im Vergleich zur Gesamtwirtschaft eher klein. Weder Staat noch Bürger sind in China nennenswert verschuldet. Auch diese Blase wird also weder das Wirtschafts- noch das Finanzsystem in die Knie zwingen.

6 Kommentare zu “Eine Blase ohne Katastrophe”

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