7. Nov

Herr Xi schüttelt Herrn Ma die Hand

Historische Gespräche zwischen China und Taiwan – Propaganda in Peking, Proteste in Taipeh

Peking. Die Staatschefs von China und Taiwan haben versprochen, den Friedensprozess zwischen ihren Ländern zu vertiefen. „Keine Kraft kann uns trennen“, sagte am Samstag der chinesische Präsident Xi Jinping in Singapur. Xi sprach danach eine halbe Stunde mit Taiwans Präsidenten Ma Ying-jeou über die Beziehungen zwischen beiden Ländern. „Wir sind verschiedenen Wirtschaftssystemen gefolgt, aber wir haben auch viele Gemeinsamkeiten“, sagte Ma. „Wir wollen nun unsere Animositäten verringern.“ Es war das erste Treffen auf Ebene der Präsidenten seit der Teilung Chinas 1949.

 

Auf der Insel Taiwan lebt die Republik China fort, die 1912 nach Absetzung des letzten Kaisers entstanden war. Auf dem chinesischen Festland existiert dagegen seit einem Bürgerkrieg die Volksrepublik China, ein sozialistischer Staat. Beide Länder nehmen für sich in Anspruch, das legitimere China zu sein. Die Volksrepublik mit ihrer gewaltigen Armee hat mehrfach gedroht, die Insel einfach einzunehmen. Die USA schützen Taiwan jedoch mit der  Warnung vor einem Gegenschlag.

 

Die beiden Präsidenten haben sich bei der Begegnung auf neutralem Grund in Singapur konsequent als „Herr Xi“ und „Herr Ma“ angeredet – beide Seiten erkennen den Titel des jeweils anderen nicht an, weil es aus ihrer Sicht nur ein China gibt. Sie verabschiedeten keine gemeinsame Erklärung und haben getrennte Pressekonferenzen abgehalten, um nicht zu konkret erklären zu müssen, worin die Vertiefung der Beziehungen nun bestehen soll.

 

Die entscheidende Nachricht kam daher auf symbolischer Ebene herüber: Bei ihrem langen Handschlag lächelten Xi und Ma herzlich in die Kameras. Dass es auch anders geht, zeigte Xi vor Kurzem bei einem Treffen mit dem japanischen Regierungschef Shinzo Abe: Hier hat er die Mundwinkel sauertöpfisch nach unten gezogen. Auch in ihrer Wortwahl zeigten Xi und Ma sich betont kompromissbereit und verständnisvoll. „Wir zeigen der Welt, dass das chinesische Volk die Fähigkeit und den Willen für friedliche Zusammenarbeit hat“, sagt Xi. Am Abend dinierten die Präsidenten noch zusammen.

 

Auf den ersten Blick wirkte die Veranstaltung wie der Auftakt zu echter Dialogpolitik, und so stellte die chinesische Propaganda sie auch dar. Die Begegnung mit ihren wohlklingen Worten hat jedoch einen Schönheitsfehler: Mas Amtszeit endet im Mai. Schon im Januar finden in Taiwan Wahlen statt. Aktuellen Umfragen zufolge wird Mas Partei die Macht verlieren. Der wahrscheinlichste Gewinner ist die Demokratisch-Progressive Partei (DPP) – und die ist tendenziell gegen eine weitere Annäherung an China und für formale Unabhängigkeit der Insel. Zwar bestehen gute Chancen, dass auch die DPP einen diplomatischen Kurs fortsetzt. Doch insgesamt passt ihre Haltung Peking nicht.

 

Das Vorgehen des chinesischen Präsidenten Xi gilt als außerordentlich schlau. Er hat das Treffen überraschend vorgeschlagen – weil er damit nur gewinnen kann: Wenn Taiwan sich weiter an die Volksrepublik annähert, kann er die Insel möglicherweise schrittweise und unblutig vereinnahmen. Wenn die DPP dagegen die Tür für weitere Gespräche zuschlägt, kann er darauf verweisen, die Hand zur friedlichen Entwicklung ausgestreckt zu haben. Neue Konflikte wären dann nicht seine Schuld.

 

Der Annäherungsprozess zwischen Taiwan und dem Festland läuft seit 1992, als sich Unterhändler beider Seiten ebenfalls in Singapur getroffen haben. Seitdem können Firmen aus Taiwan in der Volksrepublik investieren, was in handfeste wirtschaftliche Abhängigkeit geführt hat. Schrittweise sind der freie Post- und Personenverkehr dazugekommen. In der Volksrepublik arbeiten Zehntausende von taiwanischen Geschäftsleuten. Für Tourgruppen aus China ist Taiwan ein beliebtes Reiseziel. Taiwaner können auf chinesischer Online-Shopping-Seiten einkaufen. Die Länder sind also schon viel dichter miteinander verschränkt, als es beispielsweise Ost- und Westdeutschland waren.

 

Die Begegnung betonte vor allem, das Erreichte bewahren zu wollen – rief aber dennoch harsche Kritik hervor. Politische Gruppen wie Taiwan Democracy Watch oder die Taiwan Association of Human Rights veranstalteten am Samstag Demos gegen das Treffen in Taipeh. Sie organisieren einen Marsch, der vor dem Sitz des Präsidenten in eine Nachtwache mündete. Auf Plakaten nannten sie Xi einen „Diktator“ und Ma einen „Verräter“.

 

Auch ein Überlebender der Niederschlagung des Studentenprotests in Peking 1989 kritisierte das „Einknicken“ Mas gegenüber China. „Es wird keinen Fortschritt in Richtung Frieden geben“, schrieb Wuer Kaixi, der sich heute in Taiwan als Politiker betätigt. Xi greife dreist in den taiwanischen Wahlkampf ein – offenbar in der Hoffnung, dass die Partei Ma Ying-jeous es bei der bevorstehenden Wahl doch noch einmal schaffe. Ma verletze mit diesem durchsichtigen, egoistischen Manöver seine Pflicht gegenüber dem Volk von Taiwan. Sein Verhalten sei unentschuldbar.

 

Tatsächlich setzt Ma jedoch eine Politik fort, die bisher sehr erfolgreich war: Annäherung unter dem Schirm vager Formulierungen. Beide Seiten stimmen regelmäßig einer Reihe von Prinzipien zu, die sie dann allerdings unterschiedlich interpretieren. Sie sind sich beispielsweise einig, dass es nur „ein China“ gibt. Soviel ist klar, nur: sowohl China als auch Taiwan verstehen darunter jeweils „mein China“. Mit der absichtlichen Uneindeutigkeit hat Ma auf clevere Weise die Grundlagen für glänzende Geschäfte gelegt.

 

Darauf zielten auch die Verlautbarungen nach dem Treffen in Singapur ab. „Wir halten am bestehenden Konsens fest“, sagte Ma auf der Pressekonferenz. „Wir vertiefen unseren Austausch.“ Beide Seiten versprachen, künftig auf Dialog zu setzten, um mit Konflikten umzugehen. Um Missverständnisse zu verringern, wollen sie eine Hotline auf Ministerialebene einrichten.

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