1. Jun

Peking macht Propaganda gegen Raucher

Die Nachbarschaftswache bringt einem Wirt Info-Material zum Rauchverbot.

Die Nachbarschaftswache bringt einem Wirt Info-Material zum Rauchverbot.

Hohe Bußgelder und Nachbarschaftspatrouillen sollen die Bürger von ihrem Laster abhalten

Peking. Der Qualm ist überall, und keiner der Raucher fühlt sich im Unrecht. „Spinnst Du?“, fragt der Gast eines edlen Peking-Ente-Restaurants, ein Herr Mitte 50 im weißem Hemd zur Anzughose, die Frau am Nachbartisch im Designer-Kostüm – weil die ihn aufgefordert hat, seine Zigarette auszumachen. Doch dann besinnt er sich eines Besseren und drückt die Kippe im Aschenbecher aus. Sie bedankt sich mit einem Lächeln.

Der Raucher weiß vermutlich, was auf ihn zukommt. Ab Montag gilt in Peking eines der strengsten Nichtrauchergesetze der Welt: Der blaue Dunst ist aus Restaurants, Bars, Kinos, öffentlichen Verkehrsmitteln, Sportanlagen, Büros, Museen, Kulturstätten und öffentlichen Gebäuden aller Art verbannt. In der Umgebung von Schulen ist Rauchen auch auf der Straße verboten.

Die neue Regel ist bisher auf Peking beschränkt, doch die Stadtregierung will damit bereits eine Verhaltensänderung von gigantischem Maßstab durchsetzen: Rund ein Viertel der chinesischen Bevölkerung sind harte Raucher, und Peking hat 20 Millionen Einwohner. Mehr als die Hälfte der Männer gelten als süchtig. Rauchen gehört für eine Mehrheit der Chinesen zu Essen und Geselligkeit dazu wie für die Deutschen das Bier.

Die chinesische Regierung hat jedoch reichlich Erfahrung darin, soziale Veränderungen zu Verankern. Auch jetzt überlässt die Stadt Peking die Umsetzung der Verordnung nicht dem Zufall, sondern sichert sie von allen Seiten ab. Das fängt bei den saftigen Bußgeldern an: Die Strafe für Verstöße liegt bei 30 Euro für den Raucher und gut 1500 Euro für das Restaurant, außerdem droht Verlust der Geschäftsgenehmigung. Außer der regulären Polizei sollen über tausend freiwillige Aufseher mit roten Armbinden künftig nach Rauch-Sündern suchen.

Vor allem aber hat Peking seine Propagandamaschine angeworfen, um den Gegnern des Rauchens den Rücken zu stärken. In den Wohnanlagen hängen Plakate, die drei neue Gesten lehren. Die Hand vor der Nase bedeutet: „Es stört mich!“, während die vor dem Mund nach außen hin gezeigte Handfläche heißen soll: „Hier darfst Du nicht!“.

Wer dann seine Kippe noch nicht ausgemacht hat, muss mit einer Eskalation auf die dritte Stufe der Gesten rechnen. Wer seine Hände in T-Form vor das Gesicht hält, will sagen: „Hör bitte auf!“ Auch auf der beliebtesten Chat-Anwendung für Handys lassen die Behörden die drei Gesten verbreiten. Völlig unklar ist jedoch, ob die coolen und renitenten Hauptstädter sich durch ein paar Plakata zu Rauch-Wächtern umerziehen lassen.

In China gibt die Regierung dem sozialen Druck immer noch einmal zusätzlich Biss. Wer das Rauchverbot dreimal missachtet, muss damit rechnen, am Schwarzen Brett seiner Wohnanlage und auf Behörden-Websites öffentlich angeprangert zu werden. Einen Monat lang ist sind dann dort das Gesicht und der Name des schimpflichen Nikotensüchtigen zu sehen. Die Stadt hat zudem eine Sozialmedien-Seite eingerichtet, in der eifrige Bürger illegale Raucher per Handyfoto denunzieren können.

Diese Maßnahmen erinnern etwas an die Kampagnen der kommunistischen Vergangenheit, als das Nachbarschaftkomitee etwa „antirevolutionäre Umtriebe“ angeprangert hat. Doch die neue Politik erntet viel Lob von Gesundheitsexperten. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist die Zahl der Lungenkrebs-Toten in China um 465 Prozent gestiegen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt daher die Pekinger Kampagne vollauf. “Das neue Gesetz ist sehr gut. Es könnte einen positiven Einfluss auf das landesweite Anti-Rauchergesetz haben”, sagt der Pekinger WHO-Chef Bernhard Schwartländer. In China sind 740 Millionen Menschen regelmäßig Passivrauch ausgesetzt.

Es bleibt die Frage, ob sich das Verbot in der unübersichtlichen Praxis des Landes auch durchsetzen lässt. „Sind wir hier etwa jetzt in Europa, oder was?“, fragte der bekannte Kalligraphiemeister Li Zhaoqing neulich, als ein Restaurant ihm das Rauchen verweigerte. Ostentativ steckte er sich seine Kippe am Tisch an. Das war allerdings noch mehrere Tage vor Inkrafttreten der Bußgelder. Für die Akzeptanz der Regeln durch Raucher wie Li kommt erschwerend kommt hinzu, dass die Pekinger Regeln komplett ohne Ausnahmen gelten. Raucherräume und -ecken sind nicht vorgesehen. Wer süchtig ist, muss auf die Straße – oder leiden.

Experten erwarten, dass es lange dauern könnte, bis der Bewusstseinswandel wirklich greift. „Es ist unrealistisch, zu hoffen, dass Rauchen in geschlossenen Räumen in absehbarer Zeit aufhört“, sagt Yang Gonghuan, ein ehemaliger Chef der Gesundheitsbehörde, der Zeitung „South China Morning Post“. „Dafür gibt es zu viele Raucher.“

Ein weiteres Hindernis für eine Ausdehnung der Peking Gesetze auf das ganze Land sind Interessengruppen: Über 2000 Milliarden Zigaretten setzen die staatlichen Tabakkonzerne jährlich ab. Die Industrie wird dieses Geschäft nicht kampflos aufgeben. Verdächtig ist, dass sich die Nationale Tabakaufsicht im gleichen Gebäude befindet wie der Staatsbetrieb China National Tobacco Corporation, der größte Zigarettenhersteller der Welt. Das lässt befürchten, dass transparente und unvoreingenommene Überwachung im Einparteienstaat wieder einmal zu kurz kommt.

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